EMOTIONEN IN LUFTIGER HÖHE
Francesca Neri Antonello ist Innenarchitektin und hat bei dem berühmten Alessandro Mendini gelernt. Fragt man sie nach ihren Ursprüngen und ihrer beruflichen Tätigkeit, schmunzelt sie und fragt zurück, ob man denn mindestens eine halbe Stunde Zeit habe, um zuzuhören.
Text: Francesca Davoli
Fotos: Fabrizio Cicconi
Francesca hat drei Reisepässe: einen italienischen, einen aus der Schweiz und einen aus Peru. Sie wurde in Lima geboren und zog im Alter von zwölf Jahren mit ihrer Familie erst in die Schweiz und später zum Studium in die USA. Ein Schnittpunkt verschiedener Lebenswege und Kulturen – so kann man ihren Lebensstil und ihre Auffassung von Kreativität auf den Punkt bringen. Ihr Chalet im Engadin ist das Ergebnis eines sorgfältigen Restaurierungsprozesses. Das Gebäude zeugt in jeder Fuge von ihrem eklektischen Geschmack und ihrer Fähigkeit, den wahren Charakter aller Räume herauszuarbeiten.
Vor zwei Jahren kauften sie und ihr Ehemann Giulio das Haus, das zuvor Carlo Cromer, einem Engadiner Maler des frühen 20. Jahrhunderts, als Atelier gedient hatte.
Das Gebäude wurde als schlichtes Gewölbe errichtet und erhält durch die traditionellen Holzstreben einen besonderen Charakter. „Ich glaube, dass die Wände die Energie ihrer früheren Bewohner aufgesaugt haben und sie nun langsam wieder freigeben. Wenn ich nach einer anstrengenden Arbeitswoche hier ankomme, spüre ich sofort diese Ruhe“, sagt Francesca. „Das alte Holz und die Gemäuer erzählen Geschichten aus vergangenen Zeiten. Massivholz ist ein lebendiger Baustoff und seine Bewegungen klingen warm und angenehm vertraut. Es ist voll kleiner Makel, aber genau deshalb liebe ich es. Bei meinen Projekten suche ich auch immer nach der Schönheit des Unvollkommenen.“
Im Chalet wurden bis zu sechs Holzsorten verbaut. Francesca und Giulio entschlossen sich, die gut 150 Jahre alten Bretter einer Scheune aufzubereiten und daraus eine Holzverkleidung zu bauen.
Francesca liebt das Reisen und lässt die dabei gesammelten Eindrücke in ihre Arbeiten einfließen. Das Suchen und Experimentieren mit ständig sich verändernden Materialien ist die treibende Kraft hinter ihrem kreativen Schaffen.
Auch Erbstücke sind eine Leidenschaft von ihr. Egal, ob Lampen, Geschirr oder Stühle: „Häuser leben von den darin verwahrten Familienerbstücken“.
Ihre Einstellung zur Innenarchitektur änderte sich, als sie vor vielen Jahren eine Ausstellung im Palazzo Fortuny in Venedig besuchte. Die Formensprache des belgischen Architekten Axel Vervoordt übt seitdem einen tiefgreifenden Einfluss auf ihre Arbeit aus. „Seitdem verfolge ich das belgische Design sehr aufmerksam. Ich mag die schlichte Eleganz der Formen. Für das Chalet und mein Haus in Lugano habe ich Sofas aus Belgien gewählt, da sie einfach ein einmaliges Sitzgefühl bieten.“
Inzwischen hat sich in ihrem Freundeskreis herumgesprochen, dass man sich von Januar bis April samstagabends zu einem Aperitif in Francescas Haus trifft. Dann deckt sie den Tisch mit altem Familiengeschirr und bietet ihren Gästen eine Variation internationaler Köstlichkeiten an. Und selbstverständlich wird dabei auch das eine oder andere Glas Champagner eingeschenkt.